Von Spanien geht ein Aufruf nach echter Demokratie und dem Menschenrecht auf Arbeit hinaus in die Welt

13 01 2012

In Spanien folgen tausende Menschen dem Aufruf des französische Autors Stéphane Hessel aus seinem Essay “Empört euch“.

Ein junges Paar empört sich (Foto: Chr. Wüst)

Barcelona, 27.05.2011 Eine junge Mutter bahnt sich ihren Weg durch einen Sicherheitsring von Beamten der spanischen Sondereinsatzpolizei „Mossos“, um ihrer friedlichen Forderung nach echter, ehrlicher Demokratie auf mediterran-gelassene Art und Weise Ausdruck zu verleihen (Foto links).
Im Gegensatz hierzu standen die unverhältnismäßig aggressiven Maßnahmen der Polizisten beim deren Versuch das Lager der  Demonstranten aufzulösen. Entgegen ihrer Dienstvorschrift trugen die Beamten während des Einsatzes am 27. Mai 2011 auf dem zentralgelegenen Plaza de Cataluña in Barcelona keinerlei Identifikationsmerkmale auf ihrer Dienstkleidung.

Die Lage auf dem spanischen Arbeitsmarkt wird seit Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftkrise, wie auch in vielen weiteren Mitgliedsstatten der Europäischen Währungsunion, von Monat zu Monat dramatischer. Die im publizistischen Tagesgeschäft oftmals sogenannte “Generación Ni-Ni“ (eine Generation die weder arbeiten noch studieren möchte), sieht sich seit nunmehr dreieinhalb Jahren Wirtschaftskrise mit einer komplexen, vielschichtige Konfliktsituation konfrontiert.
Weder verfügt die mittelinksorientierte Regierungspartei PSOE, auch aufgrund der EU-Haushaltskriterien,  über den hinreichenden finanzpolitischen Handlungsspielraum,  um die ohnehin modernisierungs- und reformierungsbedürftige spanische Volkswirtschaft konkurrenzfähig zu machen. Noch bieten die konservative Oppositionspartei PP und die renommierten spanischen Unternehmen einer perspektivlosen Generation von Menschen eines mittleren bis  gehobenen Bildungsstandes einen Ausblick auf eine bessere berufliche Zukunft. Hinzukommt, dass es in  Spanien für Absolventen ohne Arbeitserfahrung keinerlei finanzielle Unterstützung gibt. Da sowohl die Gehälter für Hochschulabsolventen und Schulabgänger wie auch für Jobwechsler im Laufe der vergangen drei Jahren ins bodenlose gefallen sind,  sieht sich eine gesamte Generation in ihrem Heimatland vor dem sozialen und beruflichen Aus. Ein Umstand der sich nicht nur auf das Konsumverhalten, sondern naturgemäß seinerseits auf die Staatseinnahmen und das Wachstum auswirkt.
Die bürokratischen Hürden, die vor einer Selbstständigkeit zu nehmen sind, sind mit jenen in Deutschland vergleichbar, doch leider ist die Marktsituation eine Andere. Auch die kulturelle Bereitschaft zu sozio-ideologischen Veränderungsprozessen ist nicht die Gleiche, wie in anderen Nord- und Mitteleuropäischen Staaten (Beispiel: Revolutionskultur in Frankreich).
Jedoch begann sich, am Ende einer langen Historie von beruflichen Enttäuschungen und sozialer Unsicherheit, am 15. Mai 2011,  die Verzweiflung und die Wut in Spanien eine öffentliche Ausdrucksform zu verschaffen. Im Rahmen der friedlichen Protestbewegung namens „Echte Demokratie jetzt“, klagt die Generation, welche vermeidlicher Weise weder arbeiten noch studieren möchte, letztlich ihr Recht auf Arbeit ein. Die unpolitische Bewegung ist als ein pazifistischer Aufruf gegen die Vorherrschaft des Kapitals und die diesbezügliche Passivität der spanischen Regierung angedacht.  Eine Bewegung, die für die gesellschaftliche Humanisierung sowie gegen Korruption und Dumpinglohne eintritt.

Demonstranten legen einen öffentlichen Gemüsegarten im Zentrum  Barcelonas an. Foto: Chr. WüstIn der Tat vermisst der Leser bis dato in den Pressekommuniqués der spanischen Parteien wegweisende Positionen zu makroökonomischen und arbeitsrechtlichen Fragestellungen. Das höchstbrisante  Thema  einer adäquaten  sozialpolitischen Zielformulierung, wie etwa Mindestlöhne in Abhängigkeit zum Realpreisniveau, wird nicht einmal mit den sprichwörtlichen Samthandschuhen angefasst. Diese Abwesenheit von Lösungsansätzen führte schon vor vielen Monaten zu einer nicht insignifikanten Emigrationswelle qualifizierter Spanier und internationaler Fachkräfte. Die Medien unterstreichen diesen Trend mit  plakativen Beispielen von Auswanderern, die auf der ganzen Welt eine lebenswertere berufliche und private Existenz vermochten aufzubauen.
PR-Berater, die über die entsprechenden internationale Erfahrung verfügen,  raten mittlerweile der Mitte-links orientierten Regierungspartei PSOE dazu, sich mit den Demonstranten solidarisch zu erklären.
Bleibt abzuwarten ob die globalen finanzpolitischen Hürden auf Staats- sowie EU-Ebene genommen werden können, um einer jungen Generation von Süd-Europäern wieder einen optimistischen Blick in eine berufliche Zukunft zu ermöglichen. (Christian Wüst)


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